Nach fast einem Jahr wird es nochmal Zeit etwas zu schreiben.
Inspiriert durch eine sehr fragwürdige Diskussion auf Twitter…
„Notarzteinsatz am Gleis“ ist eine Meldung, die vor allem Eisenbahner erstmal erschaudern lässt.
Warum? Dieses „Notarzteinsatz am Gleis“ ist eine Umschreibung für einen Zusammenprall zwischen Mensch und Eisenbahnfahrzeug, wobei es unerheblich ist ob es sich hier um einen Suizid oder einen Unfall handelt, die Person dabei ihr Leben verliert oder „nur“ verletzt wird.
Demnach ist dies eine sehr schwierige und belastende Situation für viele, angefangen beim betroffenen Lokführer, den Rettungskräften bis hin zu den Angehörigen.
So ein Vorfall ist auch für viele andere Reisende unangenehm, da dieser eine Streckensperrung unbekannter Dauer zur Folge hat und Verspätungen, Umleitungen und Zugausfälle nach sich zieht.
Warum? Dazu später.

Auszug aus dem ReisendenInformationsSystem
Zu einem „Notarzteinsatz am Gleis“ kam es wieder einmal am gestrigen Tag in Bonn Hbf.
Eine Person ist lt. Polizeisprecher ohne Fremdeinwirkung ins Gleis gestürzt und dabei von einem Zug erfasst worden.
Die Linke Rheinstrecke ist eine wichtige Strecke im Nah- und Fernverkehr und viel befahren, dadurch kam es in Folge der Streckensperrung zu massiven Störungen im Bahnverkehr.
Züge vom Süden kommend endeten in Bonn-Bad Godesberg und/oder wurden ab Koblenz über die Rechte Rheinstrecke umgeleitet, Züge vom Norden endeten in Brühl bzw. Bonn-Endenich oder wurden direkt ab Köln umgeleitet
Hierbei kam es vor allem im Fernverkehr von Verspätungen bis zu 100 Minuten, im Nahverkehr wurden die Linien zumeist „gebrochen“ und pendelten zwischen Koblenz – Bonn bzw. Brühl – Köln.
Aufmerksam bin ich darauf geworden, als ein User sich via Twitter beim Team von
@db_bahn beschwerte.
Soweit nichts neues, außer seine Haltung.
In diese Diskussion mit reingezogen, versuchte ich ihm die wahre Bedeutung dieser Meldung zu erklären und zu verdeutlichen, das entgegen seine Meinung eine Streckensperrung durchaus gerechtfertigt ist.
Einsicht? Mitnichten.
Zitat: „ja kann der Zug trotzdem weiter fahren. Weg kratzen kann man nachher.“
Tenor der ganzen Diskussion: Person ist doch selber Schuld, warum soll der Zugverkehr deswegen jetzt leiden. Die Leiche läuft doch nicht weg…
Ich bin offengestanden etwas schockiert und verärgert über so eine Emphatielose und Ignorante Haltung.
Aber was passiert bei einem solchen Vorfall, wenn es zu einem Personenunfall kommt?
Ich versuche es hier einmal nachvollziehbar zu erklären.
Der Ablauf kann von Fall zu Fall etwas abweichen, ich gebe hier nur eine vereinfachte Übersicht wie sie durchschnittlich abläuft bzw. ablaufen sollte.
- Es fängt beim betroffenen Lokführer an.
Noch während er seinen Zug zum stehen bringt, setzt er über den Zugfunk einen Nothaltauftrag für den betroffenen Abschnitt ab.
Dieser läuft bei allen Lokführern in der Umgebung auf, so dass diese sofort anzuhalten haben.
Auch der zuständige Fahrdienstleiter erhält diesen Notruf - Der Fahrdienstleiter und der betroffene Lokführer nehmen sofort Kontakt miteinander auf.
Nach einem ersten Gespräch, in dem der dafür ausgebildete Fahrdienstleiter dem Lokführer auch beistehen soll, informiert der Fahrdienstleiter die zuständige Notfallleitstelle der DB über das Ereignis.
Der Fahrdienstleiter sperrt die Strecke im betroffenen Abschnitt. - Die Notfallleitstelle der DB informiert sofort
– Feuerwehr und Rettungsdienst
– Bundespolizei
– Notfallmanager der DB
– Notfalldienst des jeweiligen Eisenbahnverkehrsunternehmens
– ggf. Eisenbahnbundesamt
– ggf. Notfallseelsorger - Die Rettungskräfte und Bundespolizei dürfen die Strecke an der Unfalleitstelle erst betreten, wenn die Bestätigung über die Streckensperrung vorliegt!
Dies dient natürlich der Sicherheit der Rettungskräfte, noch ein Personenunfall wäre mehr als suboptimal.
So lange die Bestätigung nicht vorliegt, dürfen die Rettungskräfte das Gleis nicht betreten!Liegt die Bestätigung über die Gleissperrung vor:
- Der Rettungsdienst kümmert sich meist parallel um die verunfallte Person so wie um den Lokführer, der bei so einem Ereignis ziemlich mitgenommen wird.
Bei einem Zusammenprall zwischen einem Mensch und mehreren hundert Tonnen Stahl steht der Verlierer in den meisten Fällen ziemlich schnell fest - Der Notfallmanager kümmert sich zumeist zuerst um den Lokführer, führt mit ihm ein Gespräch um herauszufinden, wie sein Gemütszustand ist.
In der Regel bringt der Notfallmanager den Lokführer weg vom Fahrzeug und übergibt ihn der Betreuung durch den Rettungsdienst, einem Notfallseelsorger und/oder dem Notfalldienst des EVU, im Idealfall ein dem Lokführer bekannter Gruppenleiter. Sollte der Lokführer nicht in’s Krankenhaus müssen/wollen, kümmert dieser sich um seine Heimbringung. - Die Bundespolizei nimmt vor Ort ihre Ermittlungen auf.
Befragung von Zeugen, evtl. auch dem Lokführer, sichern der Unfallspuren.
Dies geschieht in direkter Zusammenarbeit mit der Staatsanwaltschaft.
Da es sich hier um einen Unfallort handelt, hat die Bundespolizei bzw. die Staatsanwaltschaft die Hoheit über die Unfallstelle!
Ohne die Freigabe der Ermittlungsbehörden darf die Strecke nicht freigegeben werden.
Gerade im Todesfall kann dies eine längere Zeit in Anspruch nehmen, da sich die Unfallstelle meist auch noch über mehrere hundert Meter verteilt. - Nach der Freigabe kümmern sich Bestatter meist in Zusammenarbeit mit der Feuerwehr um das Bergen der Person.
Hierbei muss die „komplette“ Person geborgen werden, d.h. alle Körperteile.
Ich erspare Details, aber häufig ist das Suchen nach Körperteilen nicht einfach und nimmt eine gewisse Zeit in Anspruch.
Ist die Suche abgeschlossen, kann eine grobe Reinigung durch die Feuerwehr erfolgen (vor allem im Winter, wenn Schnee liegt). - Wenn die Person geborgen wurde, die Ermittlungsbehörden ihre Ermittlungen vor Ort eingestellt und die Unfallstelle freigegeben haben und alle Rettungskräfte und Mitarbeiter die Gleise wieder verlassen haben, kann eine Aufhebung der Streckensperrung veranlasst werden.
Ihr seht, dass dies eine sehr lange Kette nach sich zieht.
Nicht aus Spaß, sondern aus absoluter Notwendigkeit.
Und diese Kette nimmt eine gewisse Zeit in Anspruch, mal mehr, mal weniger.
Alle Beteiligten versuchen allerdings stets, diese Zeit und die Auswirkungen so begrenzt wie möglich zu halten
Wichtig ist aber dabei zu erwähnen, dass die Person, auch wenn sie dabei ums Leben gekommen ist, ein Recht auf Persönlichkeit hat!
Das ist nicht nur gesetzlich festgelegt, sondern hat auch was mit Pietät und Anstand zu tun!
Ich kann nur an alle appellieren, auch wenn es in so einem Fall sicherlich schwierig ist und die Unannehmlichkeiten nach einem langen Tag nerven können, hier doch etwas die Ruhe zu bewahren und sich im klaren darüber zu sein, dass die Maßnahmen absolut notwendig sind. Es geht hier um einen Menschen.
Gruß, euer Tim
Edit: Ein Unfall oder Suizid können auch als „Personenunfall“, „Personenschaden“ oder „Unfall mir Personenschaden“ bezeichnet werden.